Tagung des DGfS Karlsruhe März 2017

10. DGfS-Tagung

10.-12. März 2017

„aneinander wachsen“

Lösungsorientierte, zukunftweisende Methoden und Betrachtungen
für Kinder, Jugendliche und Erwachsene

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Olivier Netter und Rica zu Salm-Rechberg

Workshop zur Tagung des DGfS „Aneinander wachsen“2017

„Ich bin anders – und Du bist mir nah.“

Unser paartherapeutischer Ansatz ruht auf der Annahme, dass ein erfülltes Leben sowohl persönliche Integrität, Autonomie und Befriedigung durch die eigene Weiterentwicklung, als auch eine erfüllende und vertrauende Paarbeziehung mit einer befriedigenden reifen und von Klischees und Zwängen befreiten Intimität und Sexualität zur Voraussetzung hat. Das Eine ohne das Andere verwirklichen zu wollen, kann uns, unserer Auffassung nach, nicht glücklich machen.

Es ist die große Spannung, die zwischen den Polen der persönlichen und der gemeinsamen Entwicklung des Paares ganz notwendig entsteht, die uns als Menschen in konstruktiver Weise antreibt und motiviert. Wir werden veranlasst, immer wieder nach Ausgleich und kreativen Lösungen zu suchen, oder im Laufe vieler Jahre zermürbt und in die Verzweiflung getrieben. Diese Herausforderung in einer zustimmenden Weise anzuschauen ist unser Anliegen.

Das systemische Konzept. Ein zentrales Kennzeichen unseres systemischen Ansatzes liegt darin, Verhaltensweisen und Probleme von Personen stärker als Prozesse und weniger als Dinge zu sehen. Ein wichtiger Aspekt ist, dass bei einem individuellen Prozess etliche Teilprozesse sich gegenseitig beeinflussen und in komplexer Weise zusammenwirken: Diese Teilprozesse sind also in einem oder mehreren größeren Wirkungsnetzen, der Familie und den länger zurückliegenden Zusammenhängen der eigenen Herkunft beispielsweise, miteinander verbunden. Daraus folgt dann auch, dass eine Veränderung an einer beliebigen Stelle eines solchen Netzwerkes, sich nicht nur ausbreitet und andere Prozesse im Netzwerk verändert, sondern letztlich auch wieder auf diese Stelle, also auf den Menschen der etwas in seinem Verhalten verändert, zurückwirkt. Inwieweit ein Einzelner sich der Einflüsse bewusst ist, denen er innerhalb dieses Netzes, auch im Zeitverlauf ausgesetzt ist, aber auch der Möglichkeiten, die er hat, auf dieses System selbst autonom Einfluss zu nehmen, bezeichnet den Grad seiner persönlichen Differenzierung oder Reife.

Paarbeziehungen verlaufen unter dieser Betrachtungsweise in den meisten Fällen in einer typischen zeitlichen Abfolge von deutlich unterscheidbaren Phasen, von denen wir hier drei hervorheben möchten.

  1. Die Phase der ersten Verliebtheit, in der die gegenseitige positive Aufwertung und Bestätigung und das Genießen der gemeinsamen Harmonie im Vordergrund steht. Der Konsens ist das Mittel und das Ziel beider Partner. Beide sind für einander da und stabilisieren sich gegenseitig. Darin sehen sie einen wesentlichen Teil ihres Beitrags zum Gelingen der Beziehung. Immer mehr zur Belastung werdende Kompromissbereitschaft und immer niedriger empfundene persönliche Integrität und Authentizität regulieren den Prozess und führen automatisch in die zweite Phase.
  2. Die Phase der Krisen ist gekennzeichnet durch harte oder verdeckte Konfron-tation, Dissens und belastende, nicht selten auch subtile quälende Macht/Ohnmacht-Spiele. Die Partner sind in gegenseitigen Ansprüchen aneinander und Schuldzuweisungen für die Verursachung der Krise, festgefahren oder in gegenseitiger Ablehnung völlig verstummt. Sie stecken in einer Sackgasse, aus der sie selbst oft nicht mehr herausfinden.  Es findet eine Gewöhnung an das Unerträgliche statt, die von wenigen Monaten bis zu vielen Jahren andauern kann, oder die Partner gehen auseinander. Paare kommen typischer Weise meist am Ende dieser Phase zur Therapie. Dann gibt es nur noch die Entscheidung zwischen einer Trennung oder einer substantiellen Veränderung. Die jeweilige Form der „krisenhaften Übergangs-Beziehung“, die hier im Einzelfall anzutreffen ist, prägt dann auch die Art der Arbeit, in den allerersten Sitzungen mit dem Paar.
  3. Die Phase der gereiften verbindliche Beziehung entsteht durch die Erkenntnis, dass das initiale Beziehungskonzept, der Konsens und die gegenseitige Regulierung, nicht länger trägt und durch ein, den an die Oberfläche gekommenen Differenzen der Partner gerecht werdendes Konzept der persönlichen Differenzierung, und des persönlichen Wachstums innerhalb der Beziehung, ersetzt werden muss. Die hierfür wesentlichen Prozesse laufen hier in den Partnern selbst ab und bedürfen keines Konsenses mehr. Die entscheidenden Veränderungen werden einseitig eingeführt. Hat sich dieser Weg verstetigt, sind es die Bereitschaft und der Mut zur Selbsterkundung und die liebende Offenheit für den Anderen, welche die Dynamik antreiben.

Die in diesen drei Phasen auftretenden starken Emotionen treiben den Prozess einerseits an, blockieren ihn aber auch. Positive Aspekte der Komfortzone wie Selbstbestätigung, Beruhigung und Orientierung stehen die negativen des immer wieder geplanten Aufbruchs und der Selbstkonfrontation wie Selbstzweifel, Angst und Verlorenheit gegenüber.  Die positiv wahrgenommene gegenseitige Regulierung der ersten Phase erweist sich bereits in der zweiten durch Konflikt geprägten Phase, als extrem dysfunktional. Soll die Beziehung weiter Bestand haben und sich in die dritte Phase hineinentwickeln, muss das Konzept der gegenseitigen Ko-Regulierung und gegenseitigen Abhängigkeit endgültig aufgegeben werden, und durch die noch zu erlernende Fähigkeit der Selbstregulation, die Fähigkeit sich selbst und seine Angst zu regulieren, überwunden werden.

Im Rahmen unsereses Workshops möchten wir Gelegenheit bieten, einen Teil der oben beschrieben Dynamiken und die Möglichkeiten ihrer bewussten Steuerung, konkret zu erfahren.